Die Ukraine und Weißrussland gehörten in den letzten Jahren trotz politischer Spannungen zu den beliebtesten IT-Outsourcing-Destinationen in Europa, da sie über ein großes Angebot an hochqualifizierten und professionellen IT-Spezialisten, eine attraktive geografische Lage und attraktive Kostenstrukturen verfügen. Warum das so ist und welche Folgen der Ukraine-Konflikt für den IT-Markt in Deutschland haben könnte, beschreibt dieser Artikel.
Warum war die Ukraine ein so beliebtes Ziel für IT-Outsourcing?
Über ein Jahrzehnt lang zog der ukrainische IT-Markt IT-Recruiter und Unternehmen mit einem hohen Bedarf an IT-Fachkräften an und wurde zu einer wichtigen Ressource für viele westliche Unternehmen. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Durch die zahlreichen Investitionen des ukrainischen Staates in seine eigene digitale Wirtschaft verfügte die Ukraine über eine gute digitale Infrastruktur, zumindest in den IT-Zentren wie Kiew oder Lemberg. Außerdem waren die Verbindungen zu vielen europäischen Großstädten nur wenige Flugstunden entfernt, was Standortbesuche bei westeuropäischen Kunden oder umgekehrt sehr komfortabel machte.
IT und Technologie haben in der Ukraine eine lange Tradition, die mit der Geschichte der Mathematik einhergeht, so dass es nicht verwunderlich ist, dass es in fast jeder größeren Stadt der Ukraine eine technische Universität gibt, allen voran Kiew mit gleich drei. Ein IT-Studium ist für viele Schulabgänger oder auch Hochschulabsolventen anderer Fachrichtungen ein attraktiver Berufsweg, der im Rahmen der lokalen Wirtschaft besonders attraktive Karriereaussichten bietet.
Ein wichtiger Faktor für viele Unternehmen bei der Auslagerung von IT ins Ausland sind natürlich die Kosten. Trotz der Präsenz vieler internationaler Technologieunternehmen galt die Ukraine immer noch als günstiger IT-Standort für Unternehmen aus Hochlohnländern wie Deutschland, dem Vereinigten Königreich oder Frankreich. Die Budgets konnten nicht mehr halbiert werden, wie es vielleicht noch vor einigen Jahren der Fall war, aber je nach Erfahrung und technologischer Ausstattung konnten Einsparungen von bis zu 30 oder 40 % erzielt werden. Das war vor allem im Zusammenhang mit den hohen Gehältern von IT-Spezialisten von Bedeutung.
Die Auslagerung von IT-Funktionen ins Ausland ist viel einfacher als andere Dienstleistungen. Die Sprache der Softwareentwickler, die Technologie und die Probleme sind in der IT-Welt fast immer dieselben, unabhängig davon, wo sich der Entwickler befindet.
IT-Outsourcing in der Ukraine
Die Ukraine war ein typisches IT-Exportland, dessen Wert im Jahr 2020 auf rund 5,4 Milliarden US-Dollar geschätzt wurde. Nach Prognosen aus dem Jahr 2020 wurde für 2025 sogar ein Wert von 8,4 Milliarden US-Dollar vorausgesagt. Den größten Beitrag dazu leistete der IT-Outsourcing-Sektor.
Mit rund 220.000 IT-Spezialisten weist die Ukraine nach Polen und vor Rumänien die zweitmeisten IT-Spezialisten in Europa auf. Zudem kämen noch jährlich 25.000 bis 30.000 Absolventen hinzu. Die Ukraine sei daher ein wahres Paradies für internationale Unternehmen, die viele IT-Stellen zu besetzen haben und vom Standort Ukraine profitieren wollen. Dementsprechend werden die meisten ukrainischen IT-Spezialisten von internationalen, oft nordamerikanischen oder westeuropäischen Unternehmen eingestellt.
Ukraine-Konflikt – Trend zum IT-Outsourcing
Viele deutsche Unternehmen, von Automobilzulieferern wie BMW oder Volkswagen bis hin zu Firmen, die aufgrund der abgeschnittenen Luft- und Seewege logistische Probleme haben, spüren den aktuellen Konflikt in der Ukraine nicht nur emotional, sondern auch operativ. Weniger bekannt ist jedoch, dass auch viele mittlere und kleinere Unternehmen direkt oder indirekt betroffen sind. Die Ukraine ist eines der wichtigsten IT-Exportländer in Europa.
Ukrainische IT-Outsourcing-Unternehmen sowie einzelne ukrainische Softwareentwickler arbeiten mit einer großen Zahl internationaler Organisationen zusammen, von Big Tech, von denen viele in der Ukraine Forschungs- und Entwicklungszentren unterhalten, bis hin zu KMU und Start-ups. Diese Abhängigkeit ist so groß, dass ein vorübergehender oder längerfristiger Verlust für viele Unternehmen nur schwer zu bewältigende Probleme mit sich bringen könnte.
Vor dem jüngsten Konflikt mit Russland ging man davon aus, dass die Ukraine die Zahl der von ihr betreuten und beherbergten IT-Unternehmen bis 2025 verdoppeln würde. Außerdem stand die Ukraine im Bereich Innovation an zweiter Stelle, von 29 Volkswirtschaften mit niedrigem bis mittlerem Volkseinkommen. Die Hoffnungen, dass bald mehr lokale ukrainische Start-ups den internationalen Durchbruch schaffen würden, waren ebenfalls groß, doch die Auswirkungen des aktuellen Konflikts auf den ukrainischen, den globalen und den deutschen IT-Markt sind bereits deutlich spürbar.
Ukrainische Entwickler sind weltweit anerkannte Experten
Nach Aussage des Geschäftsführers des mittelständischen Unternehmens K&C, Michael Krusche, spielt die Situation in der Ukraine eine sehr wichtige Rolle bei der Gestaltung des Tagesgeschäfts. Das Unternehmen, ein in München ansässiger IT-Outsourcing-Anbieter, hat sich auf die Auslagerung von Softwareentwicklung vor allem nach Osteuropa spezialisiert. So ist Michael Krusche neben Büros in Bulgarien, Aserbaidschan und Polen auch für ein Büro und Mitarbeiter in Kiew (Ukraine) verantwortlich:
„Die Ukraine hat sich zu einem wichtigen Nearshore-IT-Outsourcing-Standort entwickelt. Das gilt für uns als Organisation, aber auch für viele andere Unternehmen. Wir arbeiten mit mehreren der größten deutschen Marken zusammen, von denen einige über uns eine ganze Reihe von ukrainischen Mitarbeitern beschäftigen. Ein sofortiger Verlust einer großen Zahl ukrainischer Mitarbeiter kann spürbare Auswirkungen auf deutsche Unternehmen und möglicherweise auch auf die Verbraucher haben.“
„Unsere Kunden erwarten von uns, dass wir unseren Betrieb aufrechterhalten, dessen Ausfall schwerwiegende Folgen für uns und unsere Kunden haben könnte. Wir sind in der glücklichen Lage, in der Ukraine nicht übermäßig stark vertreten zu sein, da wir unsere Personalbeschaffung im letzten Jahr ohnehin stark diversifiziert hatten. Dadurch können wir jetzt die Kapazitäten in unseren anderen Niederlassungen nutzen, um die Nichtverfügbarkeit in der Ukraine abzufedern. Den meisten unserer Mitarbeiter ist es gelungen, das Land zu verlassen, eine Handvoll ist jedoch geblieben.“
„Nur wenige wissen, dass die deutsche Wirtschaft zum Teil von den umfangreichen Exporten von IT-Dienstleistungen aus der Ukraine abhängig ist. Ukrainische Entwickler haben zum Erfolg unseres Unternehmens beigetragen, wie auch zu dem vieler anderer Unternehmen in Deutschland.
Fazit
Betroffene internationale und deutsche Unternehmen konnten den anfänglichen Verlust einiger ukrainischer Mitarbeiter oft durch die Freisetzung von Kapazitäten an anderer Stelle kompensieren. Dies ist jedoch nicht immer möglich und auch keine langfristige Lösung, so dass sich bereits die ersten Versorgungsprobleme bemerkbar machen. Viele Deutsche wissen, dass die Ukraine ein wichtiges IT-Exportland für Deutschland und seine Wirtschaft ist. Der Fachkräftemangel, vor allem im IT-Bereich, ist ein langjähriges Problem, aber es darf nicht vergessen werden, dass die vielen tausend IT-Spezialisten aus der Ukraine in naher Zukunft nicht vom deutschen Arbeitsmarkt abgedeckt werden können. Unternehmen müssen sich nach neuen Standorten umsehen, die bisher vielleicht noch nicht in Betracht gezogen wurden.