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Ganz normale Dekadenz beim Oktoberfest?

MEISER’S MORE

Dr. Hans Christian Meiser und seine Oktoberfest Kolumne für uns!
Dr. Hans Christian Meiser, Kolumnist bei Exklusiv München, ist Philosoph, Psychologe und Publizist. Denken und Sport sind seine Leidenschaft.

Es war kurz nach dem letzten Oktoberfest. Eine Freundin, die sich mir immer als spirituell angehaucht präsentiert, viel Wert auf Achtsamkeit legt und gerne von Sittlichkeit und guter Erziehung spricht, erzählte mir von einer „Super-Einladung“ in jenes Zelt auf der Wiesn, in dem sich die Halb- und Promiwelt gerne ein Stelldichein gibt.

„Wir waren 17 Leute und tranken 11 Magnumflaschen Champagner. Das Ganze kostete Anton (Name von der Redaktion geändert) über 8.000 Euro.  Es war unglaublich lustig“, berichtete sie später begeistert. Davon zeugten auch die Photos, die sie mir via Handy präsentierte und auf denen die ausgelassene Gesellschaft in Dirndl und Lederhosen auf den Tischen tanzend zu sehen war.

Jetzt wird sich mancher Leser fragen, was mich an dieser Geschichte stört. So etwas sei doch eher die Norm – und während der zwei Wochen andauernden, staatlich geförderten Massenbelustigung bei vielen, die es sich halt leisten könnten, gang und gäbe. Das aber war genau das Problem, von dem ich nicht so recht wusste, wie ich damit umgehen sollte.

Ich fand deshalb auch nicht sofort eine Antwort, sondern es beschlich mich eher ein unangenehmes Gefühl, als ich folgende Überlegung anstellte: Waren Gelage dieser Art nicht vergleichbar mit jenen der spätrömischen Dekadenz, durch die das einstige Weltreich letztlich unterging? Gab es nicht auch hier Anzeichen einer Übersättigung und einer Wohlstandssaturiertheit, die immer dann auftreten, wenn die Menschen haltlos werden, kein Maß mehr kennen und sich billigen Vergnügungen hingeben? Aber was berechtigte mich, daran Kritik zu üben? Und warum wollte ich diesen Feiernden nicht ihren Spaß gönnen? War ich eifersüchtig, weil ich nicht eingeladen war?

Wieder ging ich in mich und dachte nach. Ich war öfter als es mir lieb war, bei solchen „Events“, doch fühlte ich mich dort stets fremd und wunderte mich über die Bedenkenlosigkeit, mit der hier „gefeiert“ wurde; wobei das Wort „feiern“ in Verbindung mit solchen Ereignissen bei mir geistiges Kopfweh hervorruft. Was wird denn eigentlich gefeiert? Wieso muss feiern so teuer sein? Und weshalb ist es stets mit dem Konsum (nicht dem Genuss!) von Alkohol verbunden?

Diese Fragen stellte ich auch jener Freundin, bekam jedoch keine Antwort. Stattdessen hielt sie mir entgegen: „Aber das Geld, das dort ausgegeben wurde, gelangt doch in den Wirtschaftskreislauf und regt zum Konsum an, wodurch die Produzenten auch wieder Geld verdienen und ihre Familien ernähren können. Und diese kaufen dann dieses und jenes und…“

„Mit dieser Argumentation kannst Du auch Waffengeschäfte, Drogen- und Menschenhandel legitimieren, sogar einen Bankraub samt Geiselnahme. Schließlich bunkert niemand das Geld, das dort ‚verdient‘ wird, sondern gibt es wieder aus“, hielt ich ihr entgegen. „Und werden kriminelle Taten dadurch weniger kriminell?“ fragte ich noch. Ich solle nicht so spießig sein, sondern den Leuten ihre kleinen Freuden lassen, musste ich daraufhin hören.

Nun muss ich gestehen, dass ich gewiss mehr als tolerant bin und als Stiergeborener über eine sehr hohe Geduldsschwelle verfüge. Aber in diesem Fall war es anders. Ich erkannte in diesen Auswüchsen ein gesellschaftliches Phänomen, das von Neureichen und Emporkömmlingen (welche die Römer „Homines novi“, also: „neue Menschen“ nannten) hervorgerufen wird und das aufgrund seiner Simplizität von der Durchschnittsbevölkerung, die man auch gerne als „unkritische Masse“ beschreibt, irgendwann als positiv und somit als erstrebens- und nachahmenswert gilt. Mit ihrer Berichterstattung über diese „Inhalte“ sorgen die Boulevardmedien zusätzlich für eine gesellschaftliche Legitimation.

Über Sinn und Unsinn von Oktoberfest-Party-Gelage

Noch einmal zur Verdeutlichung: 17 Menschen leeren bei einer Party, die sie vermutlich nach zwei Wochen schon wieder vergessen haben werden, 11 Magnumflaschen Champagner. Das sind insgesamt 16,5 Liter, was wiederum 0,97 Liter pro Person bedeutet, also wesentlich mehr als das, was in einer ganz normalen 0,75 l Flasche Schampus zu finden ist. Der Inhalt dieser Flaschen wandert durch den Körper und ist schon ab dem Moment, in dem er die in die Speiseröhre fließt, für die Kanalisation bestimmt, in der er unweigerlich landen wird. 8.000 € fürs Klo? An einem einzigen Abend?

Rechnet man das auf die Gesamtzahl der Gäste in diesem Zelt um, die mit 3.000 angegeben wird, und geht man davon aus, dass mindestens jeder Gast 1 Liter Bier oder was auch immer zu sich nimmt, dann sind das pro Schicht mindestens 3.000 Liter Flüssigkeit, die durch die Körper rinnen, um in der Latrine zu verschwinden. Kosten (nur für die Getränke): Ca. 30.000 bis 40.000 € Minimum pro Tag! Und das nur in einem kleinen Bereich des Oktoberfestes. Ich will mir gar nicht ausrechnen, wieviel Geld in den großen Zelten den Bach hinunter schwimmt. Über das, was die Menschen darin essen, und wo dieses Zusichgenommene dann sein Ende nimmt, möge sich jeder Leser seine eigenen Gedanken machen.

Warum ich dies schreibe? Weil ich eine moralinsaure Spaßbremse bin? Weil ich den Leuten ihren wohl verdienten Wiesn(s)aufenthalt nicht gönne und mit erhobenem Zeigfinger auf den bevorstehenden Untergang der Welt aufmerksam machen möchte, wenn wir so weitermachen? Oder weil ich besonders elitär bin und denke? Wenn es nur so einfach wäre! Aber: Mit welchem Recht stelle ich diese Überlegungen an?

Die Moral hinter dieser Geschichte

Vermutlich, weil ich erstens jede Art des „Zuviel“ für gefährlich halte. Zweitens, weil ich meine, dass gerade die Überflussgesellschaft, in der wir leben, den Fehler macht, das Geld eben dort für Pseudoluxus auszugeben, wo es völlig fehl am Platz ist; und drittens, weil mir dieses Verhalten wie ein gewaltiges Unrecht vorkommt. Also ist es doch irgendwie die Moral, die mich treibt? Vielleicht.

Es vegetieren auf dieser Erde 800 Millionen Menschen, die chronisch hungern. 60 Millionen Menschen befinden sich im Jahr 2017 weltweit auf der Flucht, davon sind 30 Millionen Kinder. Und angesichts dieser nicht zu leugnenden Tatsachen hat man nichts Besseres zu tun, als 8.000 € für eine Party auszugeben, deren Sinn und Zweck eher im Nebulösen liegt? Nun kann man sagen, dass uns all das Elend auf der Welt nichts angeht, dass wir nicht dafür verantwortlich sind, und dass der eine oder andere ohnedies an „Ärzte ohne Grenzen“, an die Welthungerhilfe oder andere Institutionen spendet. Solche Aussagen befriedigen aber nur das bürgerliche Gewissen und ändern letztlich nichts.

Passt das Oktoberfest noch zu unserem Lebensstil?

Was nötig wäre, ist eine radikale Umkehr bei jedem Einzelnen. Es ist ähnlich wie beim Klimawandel. Wenn nicht jeder von uns beginnt, sein Verhalten zu überdenken und zu ändern, werden wir den Wandel nicht aufhalten können. Wenn also weiterhin 17 Mitbürger 8.000 € in ein paar Stunden einfach so verpinkeln, dann brauchen wir uns nicht darüber zu wundern, dass unser Lebensstil, den wir für angemessen halten, uns eines Tages zur Falle wird, in die wir uns freiwillig selbst begeben haben und aus der wir nicht mehr entkommen können. Oder dass radikale Kräfte uns diesen „Lebensstil“ vorwerfen und ihn uns mit allen Mitteln austreiben wollen. Dann dürfen wir unserm eigenen Untergang zusehen und ihn als ästhetischen Genuss ersten Ranges begreifen, wie der Philosoph Walter Benjamin schrieb.

Den Römern erging es nicht anderes, doch sie hatten keine Kraft mehr, den Lauf der Geschichte aufzuhalten oder zu ändern. Das Dekadente, das im kulturellen Verfall begriffene Leben, war vom Extravaganten zur Norm geworden. Wird uns dies erspart bleiben, wenn wir weiterhin auf Bänken tanzen und „oans, zwao, gsuffa“ gröhlen? Egal, Hauptsache wir „feiern“, „machen Party.“ Das haben wir uns schließlich verdient. Na denn: Prost!

Eine wahre Begebenheit

Die Geschichte, die ich oben erzählt habe, hat sich tatsächlich so zugetragen. Ich möchte unsere Leser dazu einladen, sich über den Inhalt Gedanken zu machen und diese dann der Redaktion mitzuteilen. Da es hier um moralische Fragen geht, und Moral in der Gestalt von Ethik letztlich ein Fach der Philosophie ist, treten hier zwei philosophische Fragen auf: Ist es sittlich vertretbar, angesichts des Leidens in der Welt unnötig viel Geld für flüchtige, und letztlich sinnlose Vergnügungen, zu denen übrigens auch das 500 Millionen Euro teure Feuerwerk an Silvester oder die 200 Millionen Euro für Halloween (beides allein in Deutschland) gehören, verprasst werden,auszugeben?  Und – sollte man diese Frage verneinen: Wie kann man sein Leben so gestalten, dass man trotz Wissens um das Elend in der Welt die Freude am Hiersein täglich feiern und als Geschenk erkennen kann?

Ihr Dr. Hans Christian Meiser

Alle Kolumnen von Dr. Hans Christian Meiser findet man hier!

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